Ansprache zum Sommerempfang 2022 der Stadt Forchheim

Oberbürgermeister Dr. Uwe Kirschstein

20. Juni 2022

Sehr geehrte Bürger*innen dieser Stadt,
sehr geehrte Fest- und Ehrengäste,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident a.D. Dr. Günther Beckstein,

wenn ich in die Runde blicke, sehe ich einige der heute Nachmittag hier Anwesenden, die mit mir am Donnerstag im grandiosen und fulminanten Konzert im "KulturSommerQuartier" im Königsbad waren. Dort durften wir den Klängen des Ensembles des Opernhauses Odessa unter der Leitung von Vitaly Kovalchuk lauschen.

Das war wirklich fantastisch.

Aber seit dem 24. Februar 2022 ist Krieg. Mitten in Europa. Nun, eigentlich müssten wir sogar 8 Jahre weiter zurückblicken bis in Februar des Jahres 2014. Der russischen Annexion der Krim folgte die kriegerische Beanspruchung und Selbstproklamation der beiden Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Seither herrscht Krieg in der Ost-Ukraine. Der bewaffnete Konflikt mündete ein Jahr später, wieder im Februar , in der Unterzeichnung des sog. Minsk-II-Abkommen, besser bekannt als Minsker Abkommen: ein Kontrakt zur Befriedung insbesondere der Ost-Ukraine, verhandelt von der sog. Trilateralen Kontaktgruppe Frankreich (Francois Hollande), Deutschland (Angela Merkel), Ukraine (Petro Poroschenko) und Russland (Wladimir Putin). So richtig Frieden hat das Abkommen in den Osten der Ukraine nicht gebracht. Milizen und Separatisten wirkten fortwährend weiter. Die Konflikte dort haben aus heutiger wie damaliger Sicht ein eher geringeres Echo in der Weltöffentlichkeit erfahren.

Medial überlagert von anderen wichtigen Themen in der sog. westlichen Welt schwelte der Konflikt über viele Jahre vor sich hin und dennoch hatte das Minsker Abkommen bis 21. Februar 2022 mehr oder weniger gegolten. Eben bis zur Erklärung Putins an diesem Tag, der in dem Abkommen keine Zukunft mehr sah - was wir heute wohl als Aufkündigung des Abkommens verstehen dürfen.

Aber wie nun reagieren auf den bewaffneten Überfall eines Landes auf dessen Nachbarn? Mitten in Europa? Ich bin mir nicht sicher, ob wir mir Waffen wirklich ernsthaft und dauerhaft Frieden schaffen können.

Ehrlich gesagt, glaube ich nicht daran.

Schon in der frühen Solidaritätskundgebung am Samstag nach Ausbruch des Krieges auf dem Forchheimer Marktplatz haben mit mir die Redner der demokratischen Parteien deutlich gemacht, dass Sanktionen und ökonomische Einbußen das Mittel der Wahl sein sollten. Dies hatte ich auch am 1. Mai an selber Stelle noch einmal deutlich wiederholt: als anerkannter Kriegsdienstverweigerer, wie der Zivildienst damals offiziell hieß, war und bin ich davon überzeugt, dass Waffengewalt nicht zur Lösung beiträgt.

Verwundert habe ich mir deshalb immer wieder die Augen gerieben, wer alles plötzlich über schwere Waffen Bescheid wusste. Ich gebe offen zu, ich weiß davon nichts. Da wurde landauf, landab über Panzertypen, Marder, Mörser und Haubitzen philosophiert. Insbesondere von Menschen, denen ich nicht zugetraut hätte, dass sie den Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet hätten. Man bekam den Eindruck, Panzerfahren sei so einfach wie einen Kleinwagen durchs Wohngebiet zu steuern.

Auch das glaube ich nicht.

Was ist heute also anders als vor acht Jahren? Die Annexion der Krim stellt zweifelsfrei einen Bruch dar. Die damalige Begründung der geopolitischen Einheit Russlands ist eine vergleichsweise eher dünne Rechtfertigung. Zumal ja 2008 mit der Verlängerung des russisch-ukrainischen Freundschaftsvertrages von 1997 die territoriale Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine noch einmal ausdrücklich von allen Beteiligten bekräftigt wurde.

Aber warum begannen damals nach der Annexion der Krim, wohlgemerkt damals ebenso völkerrechtswidrig wie der Angriffskrieg heute, unmittelbar die Gespräche? Ich vermisse schmerzlich multilaterale Gesprächsformate. Stattdessen militärische Aufrüstung auf allen Seiten.

Die eben schon erwähnte Trilaterale Kontaktgruppe ging später als "Normandie-Format" in die Geschichte ein. Die Gespräche wurden seit 2014 fortwährend geführt. Zuletzt traf man sich in Berlin am 10. Februar dieses Jahres mit einem bereits vereinbarten Folgetermin im März 2022. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Sicher auch weil sich einer davon im Kreml hinter einem sechs Meter langen Tisch verschanzt hatte.

Das führt uns unweigerlich zu der Frage: kann und darf man mit Despoten verhandeln? Spaß macht das sicher niemandem, aber die Alternative dazu – eben nicht zu reden – ist auch keine Lösung. Da halte ich es mit meinem politischen Vorbild Helmut Schmidt: "Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen." Wir müssen im Gespräch bleiben oder wieder ins Gespräch kommen.

Das gilt nicht nur im Russland-Ukraine-Krieg, das gilt grundsätzlich für all unser Handeln.

Miteinander reden hilft. So auch beim eingangs erwähnten Auftritt des Ensembles des Opernhauses Odessa im Forchheimer Königsbad. Kurz nach 21 Uhr, sozusagen der zweite Akt hatte gerade begonnen, wurde ich zu einer Unterredung gebeten: die Einsatzkräfte der Polizei wurden von Nachbarn herbeigerufen, denen die Veranstaltung offensichtlich zu laut war und sich daher gestört fühlten. Die Einsatzkräfte, ganz offensichtlich Kunstkenner, hatten großes Verständnis für das Benefizkonzert, so dass hier keine ernsthafte Verhandlung notwendig geworden war. Aber das Gespräch war dennoch notwendig, da dies ja auch noch an einem Feiertag stattfand.

Das gemeinsame Gespräch und die gemeinsame Verhandlung um die jeweils beste Lösung ist in den letzten Jahren zum Merkmal der Forchheimer Politik geworden. Nicht nur in den Sitzungen der Gremien ist das so, sondern z. B. auch bei der Frage zur Neugestaltung des Paradeplatzes. Heute eine sehr große Baustelle, doch die guten Vorberatungen und Beteiligungen der Anlieger und der Stadtgesellschaft haben die beste Lösung für Forchheim hervorgebracht. Klar, die Umsetzung erfordert Geduld und viel Verständnis, aber das Ziel und die gemeinsame Vision werden über diese schwierige Zeit des Umbruchs tragen. Es entstehen neue Baumreihen, neue Aufenthalts- und Veranstaltungsmöglichkeiten, ein neues Fontänenfeld, kurzum ein neues, urbanes Lebensgefühl im Herzen der Altstadt.

Der Paradeplatz war und ist aber auch ein verkehrlicher Knotenpunkt. Daher haben wir, gestärkt durch die guten Erfahrungen aus der öffentlichen Beteiligung zum Paradeplatz, auch unser Verkehrskonzept als öffentlichen Diskurs begonnen. Schon der Start im März 2020 war ein Bürger*innen-Workshop. Es folgten Fachforen mit Teilnehmenden aus Verbänden und Vereinen sowie ein Jugend-Workshop und gemeinsame Sitzungen als Klausur bzw. Teilklausur der Stadtratsmitglieder mit und ohne Vertreter*innen der Fachverbände. Aktuell laufen also zahlreiche Gespräche und Verhandlungen zur Erstellung unseres Verkehrskonzeptes. Wir werden uns in Zwischenschritten einem ganzheitlichen Ziel nähern.

Auch hier, da bin ich mir sicher, werden wir gemeinsam die beste Lösung für Forchheim finden. Dafür an dieser Stelle schon einmal meinen herzlichen Dank an alle, die sich in diesem Prozess beteiligen und einbringen. Ich weiß, dass dies ein manchmal zäher und mitunter langwieriger Prozess ist. Umso wichtiger ist es, dass sich Menschen finden, die sich für unserer Gesellschaft einsetzen und so versuchen, unserer Stadt ein bisschen besser zu machen.

Beim gemeinschaftlichen Diskurs ist eines jedoch extrem wichtig, ja ich möchte sagen, eigentlich Grundvoraussetzung: einander auch zuzuhören. Ein besonderer Gruß an dieser Stelle an unsere Moderatorin des Nachmittags, Frau Corinna Mielke. Sie ist Rundfunk-Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk (BR) und hat, so sagt sie selbst und ist auf der Homepage des BR zu lesen, über viele Jahre "genaues Hinhören" gelernt. Wichtig ist also: Hinhören, wenn mein Gegenüber spricht. Und gerne auch den mir vielleicht fremden Gedankengang aufnehmen und weiterspinnen, weiterentwickeln. Bei all dem Selbstbewusstsein und der Selbstsicherheit, die jeden von uns gerne umgibt, hilft es stets eines zu bedenken: was wäre, wenn ich vielleicht doch nicht recht habe mit meiner eigenen Position?

Für eine gemeinsame Diskussion kann das dann erstaunliche Effekte hervorbringen. Eben nicht nur ein Statement nach dem anderen absetzen, sondern aktiv dem und der anderen zuhören. Vielleicht trauen wir uns dann, gemeinsame mutige Entscheidungen zu treffen. Wie die autofreie Altstadt oder eine städtische Kulturhalle.

Aber eines dürfen wir nicht vergessen: wir machen Politik für die Menschen. Zur eigenen Auslotung gehört, so denke ich, auch immer wieder die Konzentration auf das Wesentliche. Diskussionen um Verkehrsführungen, Kulturräume, Rathaus- und Königsbadsanierung, Photovoltaikanlagen auf städtischen Gebäuden oder auch Standortdiskussionen für Feuerwehr, Kita, Schule und auch Verwaltung sind wichtig - keine Frage - aber unter Umständen für ganze Teile der Bevölkerung von nachgeordneter Priorität. Wenn der Dreiklang bestehend aus Familie, Leben und Arbeiten nicht oder nicht vollständig geklärt ist, dann erscheinen andere Themen als nicht mehr ganz so wichtig.

Der Dreiklang aus Familie, Leben und Arbeit bedeutet für das kommunalpolitische Handeln die drei Themenfelder:

  1. Sicherung der Kinderbetreuung im Krippen- und Kindergartenalter bis hin zur Schule,
  2. das Vorhandensein von bezahlbarem Wohnraum und
  3. die wirtschaftliche Weiterentwicklung der örtlichen Gewerbe- und Industriebetriebe, die für sichere Arbeitsplätze für die Menschen sorgen.

Diese drei Themen sichern die Grundbedürfnisse. In wirtschaftlicher Sicht hat Forchheim eine tolle Entwicklung hingelegt. Nächsten Freitag darf ich wieder eine Grundsteinlegung für einen größeren Gewerbebau begleiten. In wirtschaftspolitischer Sicht ist Forchheim mit der Ansiedlung neuer Unternehmen und dem Ausbau des Wissenschaftsstandortes rund um das Fraunhofer Institut im Medical Valley Center Forchheim bestens aufgestellt. Auch schaffen wir Zukunftsperspektiven für die Betriebe, die schon hier sind. Das Gewerbegebiet Forchheim-Nord nähert sich nach den flächendeckenden archäologischen Grabungen nunmehr seiner Realisierung.

In den vergangenen Jahren hingegen waren die Themen Wohnen und Kinderbetreuung von immenser Bedeutung. Das wird die nächsten Jahre auch noch andauern. Letzteres wäre eigentlich auf einem guten Weg, wenn nicht jedes Vorhaben, dass der Stadtrat bewilligt und angehen will durch Nachbarschaftsklagen gestört oder behindert werden würde. Aktuell gibt es keines der insgesamt fünf - vier städtische und ein kirchliches - Vorhaben zum Kitabau, dass nicht beklagt werden würde oder zu dem nicht mindestens eine nachbarschaftliche Beschwerde vorläge.

Beim Wohnungsbau sieht die Zukunft leider noch düsterer aus. Das größte Einzelvorhaben mit rund 380 Wohnungen stocken aus juristischen Gründen mit zwei anhängigen Verfahren. Die aktuelle Zinsentwicklung, so begrüßenswert sie als Gegenmaßnahme zur Inflation auch sein mag, wird jedoch dort, wo der Wohnungsmarkt heute schon angespannt ist, eine sinnvolle Perspektive verhindern. Neubauprojekte, die schon gestartet sind, werden nicht mehr kalkulier- und damit nicht mehr planbar. Diese werden wohl dennoch mehrheitlich, davon bin ich überzeugt, beendet und fertiggestellt werden.

Aber wie sieht es wohl mit neuen Projekten aus? Ich fürchte, die Auswirkung werden wir dann ab 2023 zu spüren bekommen. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Gesellschaften in staatlicher Hand könnten, wenn der Freistaat Bayern entsprechende Förderszenarien entwickelt, in die dann entstehende Lücke vorstoßen. Ohne die fördernde Hand unseres Freistaates wird es aber wohl kaum gelingen. Dass nun unser neuer Staatsminister für Bauen und Wohnen, Christian Bernreiter, als ehemaliger Landrat aus der kommunalen Familie kommt, würde ich hierbei als äußerst positiv bewerten.

Weniger positiv allerdings werte ich die jüngst verpasste Chance des Freistaates, sich dem Thema Baulücken auch gesetzgeberisch nähern zu wollen. Dankenswerterweise enthielt der Koalitionsvertrag 2018 noch die bayerische Flächensparoffensive. Folgerichtig war sodann das 5-ha-pro-Tag-Ziel als begrenzender Flächenverbrauch (Siedlungs- und Verkehrsfläche) in das Bayerische Landesplanungsgesetz aufgenommen worden.

Das war richtig und notwendig, denn wir müssen alle gemeinsam sorgsam mit der wichtigen und eben nicht grenzenlos verfügbaren Ressource Boden umgehen.

Ich bin mir sicher, hierzu besteht große Einigkeit.

Dabei ist klar, dass jede Kommune das Ziel selbstständig erreichen muss. In den Städten wird schon aus Mangel an vorhandenen Flächen schon jetzt sorgsamer mit Grund und Boden - Stichwort Nachverdichtung - umgegangen. In diesem Spannungsfeld stehen notwendige Frischluftkorridore oder Maßnahmen gegen das Aufheizen der Städte wie wir in unserem Klimagutachten von 2017 bereits aufgezeigt hatten.

Das bayerische 5-ha-pro-Tag-Ziel lässt sich auf eine Einwohner*innen-bezogene Größe herunterrechnen: d. h. dann rund 1 Quadratmeter pro Einwohner*in pro Jahr. In den letzten Jahren hat die Stadt Forchheim dies bereits mit Philosophenviertel, Pointäcker-Süd und Weingartsteig-Süd sowie Pendlerparkplatz mit Nahversorger in Kersbach und neues BayWa-Gelände planerisch bereits mehr als ausgeschöpft. Wenn wir jetzt noch den Oberen Schulweg und das schon erwähnte Gewerbegebiet Forchheim-Nord hinzunehmen, so dürfte auch in den nächsten Jahren unser Flächenkonto bereits überzogen sein. Dabei sind unsere eigenen Kita-Neubauten, das neues Bauhoflager und die neue Feuerwehr in Buckenhofen noch gar nicht mitgerechnet. Auch das Baugebiet Tränklein taucht in der Rechnung noch nicht auf.

Das ist deshalb erwähnenswert, weil zeitgleich im Stadtgebiet weiterhin rund 350 Baulücken, also baureife Grundstücke inmitten rechtsgültiger Bauleitpläne, existieren. Die Stadt Forchheim hatte, und da bin ich sehr dankbar, bereits 2019 unser neues flexibles Baulandmodell beschlossen. Aufgrund der darin enthaltenen deutlich erhöhten Quote zur Bauverpflichtung werden neue Baulücken zumindest unwahrscheinlicher – die alten aber bestehen natürlich weiterhin.

Nun haben alle Bundesländer bis auf Bayern die Reform der Grundsteuer dazu genutzt, den Kommunen das Modell der Grundsteuer C zu ermöglichen. Im bayerischen Sonderweg zur Grundsteuer-Reform taucht diese Möglichkeit leider nicht auf. So fürchte ich, werden wir auch weiterhin einen nennenswerten Anteil an Baulücken im Stadtgebiet haben - während andere händeringend nach Wohnraum suchen. Die besagten rund 350 Baulücken könnten vielleicht in bis zu 650 Wohneinheiten umgesetzt werden, also Wohnraum für rund 1.500 Menschen bieten. Umgerechnet also fast zwei zusätzliche Philosophenviertel.

Einfach so.

"Einfach so" aber wird es nicht geben. Wir werden uns dafür gemeinsam und gemeinschaftlich einsetzen müssen, wenn wir Veränderungen möglich machen wollen. Diesen erfolgreich eingeschlagenen Prozess möchte ich gerne mit Ihnen gemeinsam weitergehen und freue mich auf die Herausforderungen, die wir gemeinsam lösen wollen. Für diesen ehrenamtlichen Dienst und Ihre Bereitschaft dazu Ihnen allen ein herzliches Dankeschön.

Für heute freuen wir uns gemeinsam auf einen interessanten Nachmittag mit hochkarätigen Gesprächspartnern: unseren Ehrengast, Ministerpräsident Dr. Günther Beckstein, und Frau Corinna Mielke vom Bayerischen Rundfunk. Dr. Beckstein, Ihnen noch einmal ein herzliches Willkommen und ein großer Dank, dass Sie sich spontan für uns Zeit genommen und den Weg in unser schönes Forchheim gefunden haben. Ich freue mich auf Sie und auf das gemeinsame Gespräch mit Frau Mielke.

Ansprachen früherer Jahre: